Das Elend der Brüder und Schwestern in der Diaspora kam in meiner Kinderzeit gleich hinter den armen „Negerkindern“ in Afrika. Unvorstellbar, dass man nicht auswählen konnte, ob man in die Ministrantengruppe, die Pfadfinder oder in den Kinderchor wollte. Keine Kirche im Dorf, kein katholischer Kindergarten um die Ecke – Katholik in der Minderheit, das musste ganz großer Mist sein. Treulich sammelten wir am Diaspora-Sonntag die Münzen ins Spendentütchen, um Licht ins Dunkel der Verstreuten zu bringen. Viel mehr hatte eine katholische Rheinländerin mit dem Thema Diaspora nicht zu tun. Seit die Mauer gefallen ist, ist die Diaspora ein wichtiger Teil der kirchlichen Wirklichkeit geworden. In sechs von 27 deutschen Diözesen liegt die Katholikenzahl unter zehn Prozent. Im Westen (außer Hamburg) sind die Zahlen noch zweistellig. Aber die Statistik lügt, das spürt jeder, der sonntags noch zur Kirche geht. Diaspora ist überall. Auch im Westen.
Als das Bonifatiuswerk, das Hilfswerk für die Katholiken in der Diaspora, Journalisten einlädt, sich selbst ein Bild zu machen von der Situation der Gemeinden in den Bistümern Dresden-Meißen, Erfurt und Görlitz, steige ich sofort in den berühmten rapsgelben Boni-Bus. Ich will selbst sehen, was übrig ist vom Elend der Brüder und Schwestern im Osten. Ich möchte erkunden, wie weit die Gemeinden in dem Erkundungsprozess sind, den ihre Bischöfe in Dresden-Meißen und Erfurt ausgerufen haben: Was ist unser Auftrag als Christen?
Gera: Bei der Erstkommunion geht nichts ohne Eltern
In der katholischen Gemeinde St. Elisabeth in Gera gibt mir Dorothea Kramß eine erste Antwort. Die hat viel mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Ihr Mann wurde als Bausoldat nach Usedom geschickt, weil er das Gewehr ablehnte. 18 Monate war er weg, kam immer nur kurz nach Hause und brachte die Schikanen, die er erfahren hatte, mit nach Hause. „Das war eine große Belastung für unsere Ehe“, erzählt Dorothea Kramß. „Ich saß da, noch sehr jung, mit den Kindern, und er war einfach nie da.“ Ohne ihren Glauben, da ist sich die 61-Jährige sicher, hätten sie diese Zeit nicht geschafft. Dorothea Kramß hat diese Erfahrung zu ihrem Beruf gemacht: Sie arbeitet in der katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Gera und hat ein Präventionsprojekt für Eheleute entwickelt: „Spiritual Care“. „Wir erleben hier viele Beziehungsabbrüche“, berichtet sie. „In vielen Fällen sind die Leute noch sehr jung, stecken in Lebensübergängen, die oft sehr krisenreich sind. Wir wollen die Paare schon vor der Krise beraten!“ 80 Prozent der Hilfesuchenden sind Nicht-Christen. Aber wenn Dorothea Kramß fragt: „Wo ist der Halt in dieser Krise?“, dann blitzt so etwas wie Spiritualität auf. „Ich schicke Ihnen einen Engel mit“, sagt sie manchmal am Schluss eines Gesprächs. Und dann sagen manche: Meine Oma hat mir so etwas auch mal gesagt.
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