Seit über vier Jahren begleiten Sie den wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Micha als ehrenamtlicher Vollzugshelfer. Für Sie ist er eine Art Freund geworden.
Normalerweise ist dieses Verhältnis distanzierter gedacht, als das bei uns der Fall ist. Doch manchmal läuft das Leben anders als geplant. Wir sind uns sehr nahegekommen.
Wie kam es dazu?
Er bat mich für seinen besten Freund, einen Bankräuber, eine würdevolle Bestattung auszurichten. Er wäre sonst anonym, auf der grünen Wiese, bestattet worden. Das hat uns auf einer menschlichen und emotionalen Ebene sehr viel näher zusammengebracht. Natürlich ist es eine Freundschaft, die sehr anders ist als zu anderen Menschen, ein ungleiches Verhältnis. Für Micha bin ich die einzige Bezugsperson, ich dagegen habe natürlich noch viele andere Freunde und kann mir aussuchen, mit wem ich ein Problem teile.
Was gibt Ihnen diese Freundschaft?
Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann und habe auch schon sehr persönliche Dinge mit ihm geteilt. Da ich ihn nicht so oft besuchen kann, schreiben wir uns häufig – von kaum einem anderen Menschen erhalte ich so herzliche Briefe wie von Micha. Ich spüre eine große Dankbarkeit.
Was bedeutet Ihnen Freiheit?
Im Rahmen der gesellschaftlichen Möglichkeiten so leben zu können, wie ich möchte. Wenn man regelmäßig ins Gefängnis geht, lernt man Freiheit noch mal anders schätzen.
Sie sind durch Ihr Ehrenamt vielen Häftlingen begegnet. Sind Sie im Umgang mit Fremden zurückhaltender geworden?
Nein, ich habe eher Berührungsängste verloren. Ich bin offener geworden, weil ich sehe, dass in den Menschen oftmals mehr Positives steckt, als man im ersten Moment meinen mag.
Wovor haben Sie Angst?
Am meisten Angst habe ich vor der Angst. Wenn die Dinge dann auf einen zukommen, sind sie oft weniger schlimm als vorher befürchtet.
Im Gefängnis sind Gefangene häufig alleine in ihrer Zelle. Können Sie gut alleine sein?
Generell bin ich gerne in Gesellschaft. Wenn etwas im Umbruch ist und ich mich frage, wie es weitergehen soll, ziehe ich mich gerne für ein paar Tage zurück, um nur für mich zu sein.
Wie leben Sie Ihren Glauben?
Ich bete regelmäßig.
Gibt es eine Geschichte in der Bibel, die Sie begleitet?
Als Kind hat mich die Geschichte von Zachäus und Jesus sehr bewegt: Jesus ist inzwischen schon bekannt, ein „Star“, alle sind gespannt, wo er in Jericho einkehrt, so etwa: Geht er ins „Adlon“ oder ins „Ritz“? Doch er kehrt bei dem Sünder ein. Um Gottes willen, warum macht er das? Kehrt bei diesem verhassten Zöllner ein? – Diese Geschichte rührt mich bis heute, für mich eine der bewegendsten Geschichten in der Bibel. Und wenn ich einen Bericht lese, dass der Papst die Füße der Obdachlosen wäscht, dann rührt mich das zutiefst. Das ist gelebtes Christentum.
Interview
"Ich bete regelmäßig"
Steffen Schroeder
Oktober 2017
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