Alles begann damit, dass mich die Redaktion der stadtgottes bat, mich einmal näher mit Aloysius Pappert zu beschäftigen. Ein Name, den ich bis zu diesem Moment noch nie gehört hatte. Also recherchierte ich im Internet. Doch außer zwei Büchern, die mir ebenfalls nichts sagten, gab es nichts. Wenige Tage später lagen die beiden Bücher „Eine geraubte Jugend“ und „Das Blut der Gefangenen“ auf meinem Schreibtisch.
„Schon wieder Kriegserinnerungen“, dachte ich, begann aber dennoch mit der Lektüre. Was dann geschah, war ziemlich unglaublich: Kaum begonnen, konnte ich nicht damit aufhören, die Geschichte dieses Aloysius Pappert aus Hünfeld zu lesen. Mit einer unglaublichen Präzision schilderte er seine Erlebnisse im Krieg und in sowjetischer Gefangenschaft. Er erinnerte sich an Namen, Schlachten, Daten, dazu unendlich viele Kleinigkeiten, die seiner eher nüchternen Erzählung eine unerklärliche Intensität verliehen.
Aloysius Pappert hat während des gesamten Krieges und der Gefangenschaft fest und bedingungslos zu seinem Glauben gestanden und diesen nie verheimlicht. Immer wieder beschreibt er in seinen Büchern, wie oft ihm sein Glauben das Leben gerettet oder aus verzweifelten Situationen befreit hat. Im ersten Buch erfuhr ich auch – schon als junger Mann hatte Aloysius Pappert Abonnements für die stadtgottes eingeworben.
Konnte das alles stimmen, fragte ich mich bei der Lektüre immer wieder. Wie ist es möglich, dass jemand noch nach Jahrzehnten seine Erlebnisse bis in die kleinste Einzelheit schildern kann? Und wieso gelang es diesem Aloysius Pappert, sich mit jedem zu verstehen. Mit gnadenlosen Offizieren oder überzeugten Atheisten. Nicht zu vergessen: die kirchenfeindlichen russischen Kommandanten oder die verbitterten Soldaten der Roten Armee?
Da konnte etwas nicht stimmen, nagte der Zweifel an mir. Also war mir klar: „Diesen Mann will ich kennenlernen, interviewen und auf den Zahn fühlen.“ Die Redaktion stimmte zu und gab mir einige Informationen über Aloysius Pappert mit auf den Weg. Unter anderem, dass er bis heute die Arbeit der Steyler Missionare unterstützt. Auch, so die Redaktion, wurde aus dem ehemaligen Kriegsgefangenen ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann, der nun seinen Lebensabend in Monaco verbringt.
Dann war es endlich soweit: In einem luxuriösen Appartementhaus, hoch über der Cote d’Azur begrüßte mich das Ehepaar Pappert zum Gespräch. Seit 68 Jahren sind Isabelle und Aloysius verheiratet: „Ich arbeitete 1954 in Belgien für Wella und brauchte Mannequins für eine Messe. So lernte ich Isabelle kennen und war vom ersten Moment verzaubert.“ – „Ich erinnere mich genau, Cheri“, ergänzt Isabelle, „ich war damals 18 und du 30. Das gab mächtiges Getuschel und Gerede. Schließlich musste ich damals spätestens um Mitternacht zuhause sein. Jede Verspätung wurde mit Hausarrest bestraft. Also haben wir ganz schnell geheiratet. Ein Jahr später. Eine Traumhochzeit. Ganz in Weiß.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Aloysius Pappert bereits eine steile Karriere bei Wella, dem ehemaligen Haarpflegemittelhersteller Londa aus Apolda, gemacht. In vielen Ländern wurden nach dem Krieg deutsche Unternehmen enteignet und an neue Eigentümer übergeben. Auch in Belgien. Der junge Pappert sollte versuchen, größtmögliche Teile des ehemaligen Firmenbesitzes zurückzukaufen. Das gelang. Der neue Besitzer überschrieb nach vielen Verhandlungen 75 Prozent des Besitzes an Wella.
Ähnlich war die Situation in Frankreich. Im Land der Mode und der Schönheit spielte der einst größte Hersteller für Haarpflegemittel keine Rolle mehr. In den 50er- und 60er-Jahren wurde der Markt von L’Oréal, heute der größte Kosmetikhersteller der Welt, beherrscht. Das sollte Aloysius Pappert ändern:
„Wella in Frankreich wieder nach vorn zu bringen, das war wohl eine der größten Herausforderungen meiner jungen, beruflichen Laufbahn“, erzählt Aloysius Pappert. Kein Wunder, waren die Deutschen nach dem schrecklichen Krieg in Frankreich nicht gerade wohlgelitten. „Viele Mitarbeiter weigerten sich, auf einen deutschen Vorgesetzten zu hören“, erzählt Aloysius Pappert, „auch die Gewerkschaften waren gegen deutsche Führungskräfte.“
Fünf andere deutsche Manager waren zuvor für Wella in Paris gescheitert, Aloysius Pappert „quasi“ der letzte Versuch. „Das wusste ich“, erzählt er, „und deshalb habe ich allen Mitarbeitern reinen Wein eingeschenkt. Der schmeckte bitter, denn die Geschäftsleitung in Darmstadt hatte beschlossen: „Wenn unser neuer Mann in Paris keinen Erfolg hat, ist Schluss.“
Aloysius Pappert hatte Erfolg. Mit Überzeugungskraft, Mut zu schnellen Entscheidungen und einem Schuss Risikobereitschaft, führte er die Marke in Frankreich wieder zu hohen Umsätzen. Das war nicht nur für den Konzern sehr gut, auch Isabelle und Aloysius profitierten von dem Erfolg: „Ich hatte meine Vergütung vom Gewinn abhängig gemacht, nicht vom Umsatz.“
Aber auch Aloysius Pappert musste erfahren, dass mit dem Erfolg auch die Neider aus den Betten gekrochen kamen und begannen, am Stuhl zu sägen. Bei ihm passierte das 1959. Während einer Sitzung der verantwortlichen Wella-Manager aus der ganzen Welt, wurde beschlossen, „den Großverdiener in Paris“ zu entlassen. „Das tat natürlich weh“, erzählt Isabelle Pappert, „aber für uns war damit der Fall abgeschlossen und etwas Neues würde sowieso kommen, waren wir überzeugt.“
Es kam in Form eines Angebots von Francois Dralle, damals Präsident von L’Oréal. „Ich habe abgelehnt“, erinnert sich Aloysius Pappert, „Monsieur Dralle“, habe ich gesagt. „Ihr Angebot ehrt mich. Aber künftig möchte ich nur noch für mich arbeiten, mir selbst etwas aufbauen.“
Isabelle und Aloysius Pappert gründeten Paris Cosmetique International (PKI) und spezialisierten sich auf Haarkosmetik. „Sprays, Dauerwellen, Farben, das ganze Programm“, sagt Aloysius Pappert. Allen Schwierigkeiten zum Trotz – von Übernahmeversuchen durch die Konkurrenz, über versuchte staatliche Reglementierungen bis hin zu Drohungen – wurde PKI erfolgreich. So erfolgreich, dass Familie Pappert ihre kleine Firma 1982 an das mittlerweile nicht mehr existierende deutsche Unternehmen Forfex Alfons Popp verkaufen konnte.
Zu diesem Zeitpunkt war Aloysius Pappert 58 Jahre, seine Frau 46. Also kein Grund, sich auszuruhen. Im Gegenteil. Nun legten sie richtig los: „Zu dieser Zeit benutzten Pariser Coiffeure beim Styling der Haare Gel für den Halt der Frisuren. Da hat es bei meinem Mann klick gemacht.“
Aloysius Pappert bat einen Friseur um eine Probe des Gels und beauftragte einen Chemiker mit Analyse und Verbesserung des Produktes. Sechs Monate später war es soweit: „Wir haben junge Leute eingeladen und ihnen das neue Gel vorgestellt. Sie waren begeistert. Es war stärker und hielt länger als herkömmliche Sprays“, blickt Isabelle Pappert zurück. Und ihr Mann ergänzt: „Auch einen Namen hatten wir schon – Discostar.“
Schon nach kurzer Zeit gingen allein in Paris 2000 Discostar-Töpfchen bei den Coiffeuren über den Ladentisch. „Täglich wurden es mehr. Wir kamen nicht mehr nach. Auch die Fabrik, die Tuben und Töpfchen für Discostar produzierte musste passen.“ Die Folge: Aloysius Pappert übernahm die Fabrik, ließ alles abreißen und errichtete eine völlig neue Produktion. Tag und Nacht rollten nun die Discostar-Produkte vom Band und wurden in ganz Frankreich verkauft. Alle wollten Discostar, Frauen, Männer, Jung und Alt. Und auch die großen Kosmetikkonzerne klopften bei den Papperts an die Tür, um Discostar zu kaufen. Aloysius und Isabelle prüften alle Angebote und schlossen am Ende mit Wella ab. „Wir produzierten noch ein Jahr eine Million Discostar-Produkte ausschließlich für Wella, dann ging unser Unternehmen komplett an die Darmstädter. Das war 1985. Es wurde das Jahr, in dem sich der Mann mit den unheimlich vielen Facetten zur Ruhe setzte...
Fast drei Stunden habe ich mit Aloysius Pappert und seiner Frau Isabelle geredet. Leise und konzentriert hat dieser erfolgreiche und gottesfürchtige Mann auf meine Fragen geantwortet, in seinen Erinnerungen gekramt und Fakten abgeglichen. Mit sanfter Stimme, voller Gefühl. Als ich mich verabschiede, zieht mich Aloysius Pappert zu sich herunter und flüstert mir ins Ohr: „Wissen Sie, ich weiß, ich habe nur noch eine begrenzte Zeit. Aber glauben Sie mir. Trotz Krieg und Gefangenschaft, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Dank meines Glaubens, meines Gottes und meiner Isabelle.“
Ich glaube ihm jedes Wort. Und ich weiß, die Erinnerungen des Aloysius Pappert im Krieg und in der Gefangenschaft werde ich noch einmal lesen. Nur mit völlig anderen Augen.
Kommentare (1)
Inken
am 25.02.2019