Aceton und Ceranfeld-Schaber hat Irmela Mensah-Schramm immer dabei. Meist findet man in ihrer Tasche auch eine Sprühdose, so wie Graffiti-Sprayer sie benutzen. Sie braucht dieses „Werkzeug“, um ihre Mission zu erfüllen: den Hass bekämpfen. Hass in Form von fremdenfeindlichen und faschistischen Parolen auf Mauern, Schildern oder Wänden. Die 74-jährige Berlinerin kratzt Nazi-Aufkleber weg, übersprüht rechte Schmierereien oder verändert sie: aus AfD-Zone macht sie zum Beispiel AfD-freie Zone. Aus „Merkel muss weg“ wird „Merke! Hass weg“. „Mit meinem Einsatz sende ich drei Botschaften“, so Irmela Mensah-Schramm. „Den Gleichgültigen sage ich, dass man mit Nichts- tun nichts erreicht, den Opfern, dass sie nicht allein sind, den Tätern, dass man Widerstand leistet.“
Ihr Eintreten für Demokratie und gegen Intoleranz brachte ihr mehrere Ehrungen ein, allerdings auch einige Anzeigen. „Ich werde von vielen Menschen beschimpft, kriminalisiert und auch bedroht“, sagt sie. Und doch macht sie weiter. Angetrieben von der tiefen Sorge, dass sich die deutsche Vergangenheit wiederholen könnte. Ihr Engagement begann 1986, als sie in Berlin-Zehlendorf an einem Aufkleber mit „Freiheit für Rudolf Heß“ vorbeiging. „Zuerst wusste ich nicht, was ich tun sollte“, erinnert sie sich. „Später bin ich zu der Stelle zurückgegangen, habe den Aufkleber dann mit einem Schlüssel abgekratzt.“ Seitdem zerstört die frühere Erzieherin und Heilpädagogin alle Hass-Graffiti und Aufkleber, die sie sieht. Vorher fotografiert sie die Schmierereien. Ihr Archiv umfasst etwa 28.000 Bilder. Daraus entstand die Wanderausstellung „Hass vernichtet“ – um zu warnen und zu mahnen. Hat sie denn keine Angst, erneut angegriffen zu werden? „Doch, habe ich. Aber ich versuche, sie nicht zu zeigen“, gibt sie zu.
„Wo die Zivilcourage keine Heimat hat, reicht die Freiheit nicht weit“, so Willy Brandt.
Zivilcourage – das ist der Mut, auch unter schwierigen Umständen für sein Gewissen und christliche Werte einzutreten. Das ist der Mut, unsere demokratischen Grundwerte zu verteidigen: Würde, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Frieden, Freiheit. „Damit ist Zivilcourage zeigen auch politisches Handeln“, sagt Veronika Brandstätter-Morawietz, Professorin am Psychologischen Institut der Universität Zürich. „Was Zivilcourage von ,Hilfeleistung‘ unterscheidet ist die Konstellation, dass man sich als Beobachter einem Täter gegenüber sieht, der eine andere Person bedroht.“
„Zivilcourage beginnt schon im Kleinen. Immer da, wo Menschen ausgelacht, beleidigt, gedemütigt, bedroht oder angegriffen werden. Damit wird sie zur Aufgabe von jedem Einzelnen von uns.“ Zivilcourage zeigt man schon, wenn man dem Kollegen sagt, dass einen seine fremdenfeindlichen Bemerkungen stören. Wenn man einen dunkelhäutigen Menschen, der in der Straßenbahn angepöbelt wird, bittet, sich neben einen zu setzen. Wenn man die Polizei ruft, um eine Schlägerei, die man beobachtet, zu beenden. Oder wenn man auf der Familienfeier dem Cousin sagt, dass man über frauenfeindliche Witze nicht lachen kann. „Entscheidend ist es, den Mund aufzumachen, zu reagieren statt zu schweigen. Denn rassistisch gesinnte Menschen werten Stummbleiben oft als Zustimmung“, so die Psychologin. Und sie fügt hinzu: „Die schweigende Mehrheit, die Diskriminierung und Hass toleriert, macht dies erst möglich.“ Also: Hinschauen, hinhören, eingreifen, die Polizei rufen, als Zeuge zur Verfügung stehen, wenn andere angegriffen oder unwürdig behandelt werden. „Das sind kleine Schritte, aber enorm wichtige“, betont Brandstätter-Morawietz. Einfach sind sie trotzdem nicht. Wer will schon gerne anecken oder auf sich allein gestellt sein. Wer empathisch ist, ein gesundes Selbstvertrauen hat, dem fällt es leichter einzuschreiten. Wie wichtig einem Werte wie Solidarität, soziale Verantwortung und Fürsorglichkeit sind, spielt auch eine große Rolle.
Zivilcourage kann man lernen
Die Bereitschaft zu helfen ist umso geringer, je mehr Leute dabeistehen. „Dann wird die Verantwortung auf den anderen geschoben, weil man meint, der kann besser eingreifen oder ist näher dran“, so Brandstätter- Morawietz. „Das hat nichts mit Feigheit oder Faulheit zu tun“, betont die Psychologin, „das ist ein zutiefst menschliches Verhalten.“ Sie hält es deshalb für wichtig, Zivilcourage richtiggehend zu trainieren, hat selbst ein Training für Erwachsene entwickelt. „Wenn man in einem Kurs bestimmte Situationen als Rollenspiel durchgegangen ist, weiß man nicht nur, wie man sich zu verhalten hat, sondern baut auch bereits eine Handlungsroutine auf.“ Und man lernt dabei zu helfen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
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Kommentare (1)
Inken
am 04.06.2020